Wie Du Bilanzrisiken bei Deinen Aktien erkennen kannst
Einige ganz aufmerksame Beobachter des High-Tech Stock Picking wikifolios haben sich in der vergangenen Woche darüber gewundert, dass ich die Jamf Holding aus dem Portfolio verkauft habe, obwohl sich die Jamf Aktie in den vergangenen Monaten entgegen dem allgemeinen Trend erstaunlich gut gehalten hat.
Meine Entscheidung für den Ausstieg aus der Jamf Aktie hat auch nichts mit dem operativen Geschäft bei Jamf Software zu tun, das im Windschatten von Apple weiterhin gut laufen sollte. Dennoch habe ich aus Gründen des Risikomanagements die Entscheidung getroffen, mich von der Jamf Aktie nach nur 7 Monaten wieder (mit minimalem Gewinn) zu trennen.
Hier der Hintergrund zu dieser Entscheidung:
Das Teladoc Desaster
In der vergangenen Woche kam es bei Teladoc zu einer Abschreibung des bilanzierten Firmenwertes in Höhe von über $6 Mrd. Dieser Abschreibungsbedarf war entstanden, weil man 2020 im Rahmen eines Aktientausches die Firma Livongo zu einem aus heutiger Sicht überhöhten Preis von über $18 Mrd. übernommen hatte. Der Firmenwert von Livongo wurde seinerzeit u.a. auf Basis des damaligen Teladoc Aktienkurses berechnet und entsprechend in die Bilanz aufgenommen.
Der bei Akquisitionen entstehende "Goodwill" (das ist der über den Buchwert hinaus gezahlte Kaufpreis) taucht unter den immateriellen Vermögensgegenständen ("Intangible Assets") in der Bilanz auf. Falls Dir das Thema neu ist: Das Team vom aktien.guide hat auf ihrem Blog kürzlich Immaterielle Vermögensgegenstände einfach erklärt.
Die Immateriellen Vermögensgegenstände in der Bilanz müssen regelmäßig auf ihre Werthaltigkeit hin überprüft werden. Da die Teladoc Aktie in den letzten Quartalen rasant an Wert verloren hat, musste nun der Firmenwert von Livongo in den Büchern von Teladoc korrigiert werden.
Eine solche Abschreibung ist zwar nicht cashwirksam, aber sie führt in diesem Jahr zu einem Milliardenverlust und mindert entsprechend das ausgewiesene Eigenkapital.
Der jüngste Crash bei Teladoc war übrigens nicht nur das Ergebnis der Goodwill-Abschreibung, sondern ist zu einem guten Teil auch auf die deutlich gesenkten operativen Geschäftserwartungen des Managements zurückzuführen, das damit deutlich an Vertrauen bei den Investoren verloren hat.
Die Spitze des Eisberges?
In den vergangenen Jahren hat es im Umfeld von boomenden Tech-Aktienkursen etliche Übernahmen gegeben. Viele Akquisitionen erfolgten zu einem aus heutiger Sicht überteuerten Preis. Sehr gerne wurden überhöhte eigene Aktienkurse als Akquisitionswährung genutzt, d.h. der Kaufpreis wurde ganz oder teilweise mit eigenen Aktien bezahlt.
Ich erwarte, dass es bei Tech-Unternehmen, die in den vergangenen Jahren vor allem durch Übernahmen stark gewachsen sind, in den kommenden Quartalen vermehrt zu Problemen kommen wird, den Goodwill in der Bilanz zu rechtfertigen. Ich rechne damit, dass Teladoc nur die Spitze des Eisberges ist und wir noch etliche andere Firmenwert-Korrekturen sehen werden.
Was das mit meinem Verkauf von Jamf Software zu tun hat?
Daher habe ich mein Portfolio noch einmal systematisch daraufhin abgeklopft, welche Bilanzrisiken da im Hype der vergangenen Jahre durch Firmenübernahmen entstanden sein könnten.
Glücklicherweise ist ein solcher Check mit dem aktien.guide sehr einfach möglich. Denn zu jeder Aktie gibt es dort eine übersichtliche Ansicht der wichtigsten Bilanzpositionen, die u.a. auch die Immateriellen Vermögensgegenstände anzeigt. Diese Bilanzansicht ist übrigens auch für Nicht-Kunden des aktien.guide für alle 6.850 Aktien verfügbar!
Bei einem derartigen Check meines Musterportfolios ist mir aufgefallen, dass Jamf als einziges Unternehmen durch besonders hohe Immaterielle Vermögensgegenstände auffällt.
Im Falle Jamf betragen die Immateriellen Vermögensgegenstände mehr als $1,1 Mrd., das ist 75% des Gesamtvermögens und deutlich mehr als das ausgewiesene Eigenkapital.
Du kannst Dir durch Klick auf das kleine Chart Icon in der Bilanz sogar den historischen Verlauf dieser Kennzahl ansehen (aktien.guide Premium only). Man erkennt, dass in der Jamf Bilanz nach dem 3. Quartal 2021 fast $400 Mio. an Intangible Assets hinzugekommen sind. In dieser Entwicklung erkennt man unmittelbar die Auswirkungen der im Mai 2021 angekündigten Übernahme von Wandera in der Bilanz erkennen.
Jamf hat Wandera in 2021 zu einem stolzen Preis gekauft. Ich gehe von einem bezahlten Umsatz Multiple von ca. 20 aus. Das kann aus strategischer Sicht durchaus die richtige Entscheidung gewesen sein. Der operative Erfolg gibt dem Jamf Management bisher durchaus recht. Und ich sehe auch nicht wirklich, dass dort ein konkreter Abschreibungsbedarf lauert.
Aber es gibt je nach weiterem Geschäftsverlauf zumindest ein entsprechendes Risiko. Und ich will mein Portfolio im aktuellen Bärenmarkt solchen zusätzlichen Risiken nicht aussetzen.
Der Verkauf von Jamf ist somit als reine Vorsichtsmaßnahme und Teil meines ganz persönlichen Risikomanagements zu verstehen, nicht mehr und nicht weniger. Ich bevorzuge schon seit jeher Firmen, die organisch gewachsen sind. Die haben dann grundsätzlich keine Probleme mit dem Goodwill in der Bilanz.
Im Falle Jamf war ich im letzten Sommer froh, ein profitabel wachsendes UND vernünftig bewertetes Softwareunternehmen gefunden zu haben. Über die Firmenwerte in der Bilanz habe ich damals noch hinweggesehen. Seitdem hat sich die Bilanzqualität durch die Wandera Übernahme deutlich verschlechtert. Gleichzeitig ist die Jamf Aktie verglichen mit anderen Tech-Unternehmen aktuell (relativ gesehen) nicht mehr so attraktiv bepreist.
Jetzt bist Du dran
Ich möchte Dir empfehlen, auch bei Deinen Werten im Portfolio mal einen Blick auf die Bilanz zu werfen. Checke doch mal ganz kurz (mit dem aktien.guide dauert das nur ein paar Sekunden pro Aktie) die Bilanzqualität der Unternehmen in Deinem Portfolio. Du wirst evtl. einige Überraschungen erleben.
Natürlich bedeutet das jetzt nicht, dass Du all Deine Aktien verkaufen solltest, die immaterielle Vermögensgegenstände bilanzieren. Zumindest bei Großkonzernen ist es ganz normal, dass im Laufe der Zeit auch Unternehmensteile oder Technologien zugekauft werden und entsprechender Goodwill entsteht. Du solltest an dieser Stelle aber zumindest ein Gefühl dafür entwickeln, wie die Vermögensstruktur “Deiner” Unternehmen so aussieht.
Wenn Du die Hemmungen davor verlierst, auch mal in eine Bilanz hineinzuschauen, dann bist Du schon ein ganzes Stück weiter auf Deinem Weg zum unternehmerisch denkenden Aktionär. Und Du hast gute Chancen, solche Crashs wie bei Teladoc im eigenen Portfolio zukünftig zu vermeiden.
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Disclaimer: Der Autor und/oder verbundene Personen oder Unternehmen besitzt Aktien von aktien.guide. Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.