(Wie) kann man mit Charts den Verkauf von Aktien optimieren?
Vor ca. 4 Wochen erschien hier auf dem High-Tech-Investing-Blog ein erster Gastbeitrag von Thomas Bruck aka "Prof" zum Thema Chart-Technik. Dieser Artikel gehört seitdem zu den am meistgelesenen Beiträgen überhaupt. Damals hatte Thomas aufgezeigt, wie man mit Charts den Kaufzeitpunkt von Aktien optimieren kann. Ich empfehle Dir dringend, zum besseren Verständnis des heutigen Beitrags diesen 1. Teil zuerst zu lesen.
Denn heute geht es im zweiten Teil dieser Blog-Serie um die Optimierung von Verkaufsentscheidungen mit Hilfe von Charts.
Ich (Stefan) selbst hatte vor 15 Jahren die Relevanz der Chart-Technik stark angezweifelt und wurde von Prof im Laufe der Jahre eines Besseren belehrt. Prof hat mir in den vergangenen Jahren durch seine stetigen Erfolge als "Chartie" beigebracht, dass auch die Chartanalyse durchaus ihre Daseinsberechtigung hat - z.B. zum Timing des Kauf-/Verkaufszeitpunkts im Rahmen der von mir sonst propagierten Fundamentalanalyse.
Nach einer erfolgreichen 15-jährigen "Testphase" mit einem Musterdepot auf www.stw-boerse.de setzt Prof seine Strategie nun seit Sommer 2017 auch im investierbaren wikifolio "Trendfolge mit Charts" um. Wie der Name schon sagt, versucht er mit seiner Strategie den Aufwärtstrends von Einzelaktien zu folgen. Seinen Blog findet Ihr unter https://www.charttechnik-trends.de
Die drei Szenarien nach dem Kauf
Generell muss man nach dem Kauf einer Aktie mit 3 Szenarien rechnen:
die Aktie fällt (meiner Erfahrung nach in 40% der Fälle)
die Aktie bewegt sich sehr lange seitwärts um den Einstandskurs (meiner Erfahrung nach in 20% der Fälle)
die Aktie steigt (meiner Erfahrung nach in 40% der Fälle)
So sehr man sich auch wünscht, dass nur Szenario drei eintreten möge, zumindest bei mir überwiegen in der Summe die Fälle eins und zwei. Aber mit der richtigen Kalibrierung der Verkäufe kann man auch mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 40% für Szenario 3 einen überdurchschnittlichen Gesamtgewinn für das Depot einfahren. Und das alles mit einer relativ geringen Volatilität und auch recht niedrigen Rückschlägen für das Gesamtdepot.
Szenario 1 - die Aktie fällt
Das ist schmerzlich: Kaum hat man eine Aktie im Depot, fällt sie sofort wie ein Stein oder es geht kontinuierlich bergab. Jeder Anleger, egal ob Chartie oder Value-Anleger, kennt diese unangenehme Situation und muss mit ihr umgehen. Ein fundamental orientierter Anleger prüft die seiner Kaufentscheidung zugrundeliegenden Daten auf Herz und Nieren und entschließt sich dann zum Verkauf, Halten oder auch Nachkauf zu billigeren Kursen.
Wie bereits im 1. Teil dieser Blogserie zum Thema Kauf beschrieben, verbietet sich für den charttechnisch orientierten Anleger jeder Nachkauf in fallende Kurse hinein.
"Wenn eine Aktie gefallen ist, so hat sich ihre charttechnische Situation verschlechtert. Es gibt also für den Charttechniker keinen Grund nachzukaufen. Er verbilligt grundsätzlich nicht!"
Wahrscheinlich hast Du schon einmal von Stoppkursen gehört. Falls nicht, kannst Du hier die wichtigsten Grundlagen dazu nachlesen. Für mich als Charttechniker sind Stoppkurse extrem wichtig.
Wie wichtig sie sind, sieht man hier am Beispiel Aixtron. Nachdem der Stoppkurs an der Unterstützung knapp unter 9,00€ unterboten wurde, hat sich der Kurs in nur einem Jahr fast gedrittelt. Die Unterstützung ist hier also ein Kurs, der in diesem Falle sogar mehrmals "getestet" wurde und gehalten hat. Anfang 2015 fiel die Aktie aber doch unter die 9,00€. Oft lasse ich noch 3% Spielraum zu dieser Unterstützungslinie nach unten bevor ich verkaufe. Damit möchte ich Fehlsignale minimieren.
Ich toleriere maximal 20% Kursverlust in einer Aktie, oft aber nur ca. 10 - 20%, falls sich in diesem Bereich eine wichtige charttechnische Unterstützung befindet. Natürlich kann der realisierte Kursverlust in Extremfällen trotzdem stärker als 20% ausfallen, z.B. wenn die Aktie nach einer katastrophalen Meldung sofort 40% im Minus eröffnet.
Szenario 2 - die Aktie bewegt sich sehr lange am Einstandskurs
Jeder Anleger nimmt "lange" unterschiedlich wahr. Bei einer dividendenstarken Aktie kann man theoretisch jahrelang halten und die Dividende mitnehmen. Ich verkaufe solche Aktien allerdings spätestens nach einem Jahr, denn es findet sich bestimmt ein aussichtsreicherer Chart und ich werde dann oftmals - ich gebe es zu - ungeduldig.
Szenario 3 - die Aktie steigt
Prima, sie steigt also. Vielleicht denkst Du Dir dann: "Ich habe die richtige Aktie ausgewählt und bin ein begnadeter Anleger!" - auch wenn dieses Szenario vielleicht nur wieder einmal laut dem Gesetz der grossen Zahlen "dran" war... ;-)
Bei steigenden Kursen gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten:
a) Take Profit Strategie Man setzt sich ein bestimmtes Kursziel und gibt dort eine Verkaufsorder ein. Der Grundgedanke ist, dass nach Durchbruch eines charttechnischen Widerstandes eine starke Aufwärtsbewegung eintritt. Je näher die Verkaufsorder am Ausbruchsniveau liegt, umso wahrscheinlicher ist deren Ausführung aber umso geringer ist auch der Gewinn je Trade.
Und letzten Endes müssen von allen erzielten Gewinnen die Verluste von Szenario 1 (Aktie fällt) subtrahiert werden. Ich bin nur im Aktienbereich tätig und habe nur sehr selten und nur nach starken Kursgewinnen Gewinne einfach so mitgenommen.
So im Spätsommer 2017 mit durchschnittlich 250% Kursgewinn bei S&T. Ein Grund war, dass ich die starke Übergewichtung der Tech-Aktien in meinem Depot abbauen wollte. Allerdings sind S&T seit meinem Verkauf um ca. 15% weiter gestiegen, was gegen meine Entscheidung aber auch gegen die Take Profit Strategie spricht.
Bei Derivaten auf Indizes, Rohstoffe und Devisen mag eine Take Profit Strategie mit automatischer Ausführung hilfreich sein. Ich selbst handele jedoch ausschliesslich mit Aktien und hoffe stets auf den "Tenbagger", um mit den Worten von Peter Lynch zu sprechen.
Und diese Chancen auf eine Kursverfielfachung gibt es nur mit der ...
b) Stoploss Strategie
Das erste Stoploss ist wie oben beschrieben die Unterstützung, bei der man notfalls verkaufen würde, falls die Aktie nach dem Kauf fällt. Ich suche eine Unterstützung und setze das erste Stoploss 10 - 20 % unter meinem Einstandskurs.
Sobald meine Aktie 15 - 20% über dem Einstandskurs liegt, kann ich entspannt über ein Trailing Stoploss nachdenken. Das heißt, ich passe mein Stoploss entsprechend einer Trendlinie oder einem gleitenden Durchschnitt (Simply Moving Average) täglich an. Dieses Stoploss gebe ich z.B. in eine Limitliste bei finanztreff.de ein und ich werde per Mail benachrichtigt, wenn das Limit nach unten unterschritten wurde. Natürlich muss die Limitliste von Zeit zu Zeit mit den angehobenen Stoploss Kursen aktualisiert werden.
Beispiel FinTech Group:
Anfang April stellte Stefan auf www.stw-boerse.de die Aktien der FinTech Group vor und nahm sie zu 14,83 € in sein wikifolio "Stock Picking nach Peter Lynch" auf.
Ich wartete diszipliniert den charttechnischen Ausbruch Anfang Mai ab und kaufte etwas teurer als Stefan bei ca. 16,00 € und kurz danach bei 17,00 € für mein Musterdepot auf stw-boerse.de. Das Stoploss setzte ich anfangs an der Unterstützung bei 14,00 €.
Am 28.07. erstellte ich mein wikifolio "Trendfolge mit Charts mit der FinTech Group im initialen Portfolio
Wegen des nächsten Ausbruchs, erhöhte ich am 12.09. die dortige Position bei ca. 19,00€ noch einmal um 10%.
Da die beiden ersten Käufe jetzt gut im Plus lagen, setzte ich gleichzeitig ein Trailing Stoploss an. Die rote Linie ist der 100-Tage Durchschnitt, die braune Linie der 200-Tage Durchschnitt. An jeder dieser Linien würde ich jeweils die halbe Position verkaufen. Es wäre zugegebenermaßen sehr ärgerlich, wenn ich tatsächlich zu 24€ bzw. 20€ verkaufen müsste, wo doch die Aktie derzeit bei ca. 30€ steht. Aber beide Linien steigen täglich etwa um 12 bzw. 9 Cent und ich bewahre mir die Chance auf einen richtig hohen Gewinn. Und vielleicht hätte ich ohne die Stoploss-Strategie schon lange bei 22€ mit "sagenhaften" 25% Gewinn verkauft und würde mich heute schon ärgern!
Das Stoploss gibt eine klare Handlungsanweisung und man kann die eigenen Emotionen aus der Verkaufsentscheidung weitgehend eliminieren, das ist ein großer Vorteil!
Beispiel Nutanix:
Und noch ein Beispiel, dieses Mal geht es um Nutanix aus Stefans High-Tech Stock Picking Wikifolio:
Am 20.09.2017 stellte Stefan die Nutanix-Aktie erstmals vor und ich war sofort begeistert: Die Aktie hatte ihren Abwärtstrend anscheinend beendet. Ich ging noch am selben Abend bei 22$ in die Aktie rein, mit engem Stoploss bei ca. 20$.
Der Kauf erwies sich als wahrer Glücksfall. Für mein wikifolio kaufte ich je 10% im Oktober und im Dezember zu. Bereits im Oktober setzte ich ein Stoploss am 100 Tage Durchschnitt (braune Linie). Etwas später teilte ich die Position gedanklich in zwei Hälften auf und setzte ein Stoploss entlang der dicken grünen Trendlinie.
Inzwischen sind sich beide SL sehr nahe gekommen und ich überlege, ob ich mein Stoploss für die eine Hälfte bereits an der neuen steileren Trendlinie platziere. Falls ich dieses steile Trendlinie als Stoploss nutze, muss ich mit einem baldigen Teilverkauf rechnen. Möchte ich das? Ich schaue einmal, wie sich die Dinge entwickeln.
Stoppkurse werden normalerweise auf Tagesschlusskursbasis gesetzt.
Die Ordereingabe erfolgt damit also erst nach Börsenschluss für den folgenden Tag. Denn oftmals erholt sich eine Aktie im Tagesverlauf wieder über ihren Stoppkurs. Wenn sie an einem solchen Tag sogar über ihren Eröffnungskurs steigt, so ist das ein Hammer und als sehr positive Candlestickformation zu werten.
Das Verhalten bei schlechten Nachrichten
Wenn z.B. eine schlimme Gewinnwarnung o.ä. veröffentlicht wurde und der Kurs schon deutlich unter dem geplanten Stoppkurs liegt, so sollte man einen sofortigen Verkauf in Erwägung ziehen: Hier noch einmal das Beispiel Francotyp Postalia aus dem 1. Teil dieser Blogserie zu charttechnischen Kaufsignalen .
Der Verkauf für mein wikifolio ersparte mir weitere Kursverluste. Wäre ich ein nicht charttechnisch orientierter Anleger, müsste ich hier möglicherweise jahrelang "Aussitzen", bis ich den Verkaufskurs bei 5,10€ wiedersehe.
Da ich meist um die 20 Positionen im wikifolio habe, kommt es relativ häufig zu schlechten Nachrichten wie Gewinnenttäuschungen oder Gewinnwarnungen. Es gibt generell drei Möglichkeiten zu reagieren:
sofortiger Ausstieg wie oben bei Francotyp Postalia
Ausstieg nach einer technischen Reaktion nach oben, wie bei mir am 08.01.2018 bei USU Software. Seitdem ist die Aktie aber um 5% gestiegen.
Hoffnung und Spekulation auf eine Fortsetzung des Aufwärtstrends
Hier die richtige Entscheidung zu treffen, ist oft schwierig.
Umgang mit Fehlsignalen
Mitunter "beiße" ich mich in einzelnen Aktien fest und probiere auch einen zweiten oder dritten Anlauf.
Mal sehen, wie die Sache ausgeht: Nichts ist spannender als Börse!
Verkauf vor der Dividendenzahlung - Rückkauf danach
Bei deutschen Aktien erfolgt der Dividendenabschlag am Tag nach der Hauptversammlung und es wird nur einmal jährlich gezahlt. Es gibt sogenannte Dividendenjäger, die sich auf diese Dividende freuen und nicht einkalkulieren, dass die Aktie danach (oft überproportional) fällt.
Diesen Umstand kann man sich zunutze machen, wie man hier eindrucksvoll am Fortec Chart sehen kann. Hier war die HV stets Mitte Februar und in den letzten Jahren kam es regelmäßig zu einem überproportionalen Kursrückgang nach der Dividendenzahlung:
Die Hauptversammlung ist dieses Jahr am 15.02. und die Aktie steht schon auf einem neuen 12-Monatshoch. Der Kursrückgang nach der HV betrug in der Vergangenheit zwischen 10 und 20% und das alles wegen 3% Dividendenrendite! Natürlich besteht immer die Gefahr, dass sich dieses Muster diesmal nicht wiederholt und die Aktie nach der HV sofort weiter durchstartet. Aber ich weiß, was ich zu tun habe. ;-)
Meiner Erfahrung nach tritt der Dividendenabschlag spürbar dann ein, wenn mehr als 2% Dividende gezahlt werden.
Saisonale Komponente im DAX
Wohl auch die vermehrten Dividendenzahlungen im Mai, aber auch die Urlaubssaison und die Erinnerung an vergangene Crashs führen im DAX oft zu einer Sommerflaute. Verlassen kann man sich darauf nicht, aber statistisch gesehen ist sie wahrscheinlicher als in anderen Jahreszeiten. Der Börsianerspruch "Sell in May and go away" hat sich recht häufig bewahrheitet.
Ich baue deshalb selbst in guten Börsenzeiten von Mai bis Juli eine kleine Cashreserve in Höhe von 10 - 20 % des Depotvolumens auf. Die Reserve wird spätestens Ende September wieder in Aktien investiert, falls es nicht zu einem schweren Einbruch am Markt gekommen ist.
Verhalten bei Einbrüchen am Gesamtmarkt
Ich möchte verhindern, dass bei Indexeinbrüchen alle Positionen verkauft werden. Oft sind die Einbrüche nur temporär und der Depotschaden wäre groß, wenn ich panisch alles verkaufe, das den Stoppkurs gerissen hat.
Die folgenden Strategie hat sich in der Vergangenheit bei mir ganz gut bewährt:
50% der Aktien werden stets gehalten, auch wenn der Stoploss erreicht wurde. Somit werden immer die relativ stärksten Aktien gehalten und es kommt nicht zum totalen Ausverkauf bei Marktschwäche.
66% der Aktien werden gehalten, wenn sich der Dax oberhalb der 55d oder der 200d - Linie befindet.
75% der Aktien werden gehalten, wenn sich der Dax oberhalb der 55d und der 200d - Linie befindet.
Fazit
Die Trendfolgestrategie mit Nutzung von Stoploss folgt der alten Börsenweisheit: "Gewinne laufen lassen, Verlust begrenzen".
Der Verlust soll auf maximal 20% pro Einzelposition begrenzt sein.
Der Gewinn kann durch nachgezogenen Stoploss optimiert werden. Dabei werden jedoch meist die oberen 20% "verschenkt", da die Position erst verkauft wird, wenn der Aufwärtstrend gebrochen ist und das Stoploss erreicht wurde.
Die Strategie zieht ihre Performance aus sehr hohen Gewinnen einzelner Positionen.
Bei Einbrüchen am Gesamtmarkt weiche ich bewusst von der StopLoss-Strategie ab und halte die relativ stärksten Aktien auch durch die Marktschwäche hindurch.
Welche Rolle spielt die Charttechnik in Euren eigenen Anlageentscheidungen?
Wenn Du mehr zum Thema Charttechnik erfahren willst, so schau doch mal auf dem Blog https://www.charttechnik-trends.de vorbei.