Wie Du das Potential einer Technologieaktie einschätzen kannst
Dies ist der zweite Teil meiner Blogserie zu den Grundlagen des High-Tech-Investing. Im ersten Teil mit dem Titel "Der Tornado als Signal zum Einstieg" hatte ich versucht, den optimalen Einstiegszeitpunkt in eine Technologieaktie zu beschreiben. Die zentrale Aussage meiner Anlagestrategie war, dass Du erst dann investieren solltest, wenn die Produkte oder Dienstleistungen eines Tech-Unternehmens vom Massenmarkt entdeckt werden - auch wenn das bedeutet, dass ein High-Flyer erst etwas später nach seiner Entdeckung in Dein Portfolio wandert. Denn natürlich kommt es dann regelmässig vor, dass andere Anleger das Potential einer Technologieaktie eher entdeckt haben und Du es mit bereits relativ stark gestiegenen Aktien zu tun hast.
Ein fairer Einkaufspreis ist wichtig
High-Tech-Aktien gehorchen zwar etwas anderen Gesetzen als die Aktien aus anderen Branchen, aber natürlich gibt es doch grundsätzliche Parallelen: Auch im Technologiebereich ist eine Aktie selbstverständlich nichts anderes als ein bestimmter Anteil am Unternehmen und genau wie beim klassischen Value-Investing auch gibt es einen fairen Preis, den es abzuschätzen gilt für diese Aktie. Du musst genauso wie beim Value-Investing sicherstellen, dass Du beim Einstieg nicht zuviel bezahlst, denn auch hier liegt der Gewinn im Einkauf.
In diesem Beitrag geht es im folgenden darum zu entscheiden, wann die Bewertung einer aussichtsreichen Technologieaktie akzeptabel ist und wann wir von einer Überbewertung ausgehen müssen und auf einen Kauf verzichten sollten. Im Gegensatz zum Value-Investing versuchen wir allerdings erst gar nicht, eine Aktie möglichst billig zu kaufen. Denn wirklich billige Hightech-Aktien gibt es so gut wie nie. Und wenn es doch mal ein angebliches Schnäppchen gibt, dann kann man fast schon davon ausgehen, dass die angebotene Technologie vielleicht doch nicht so zukunftsträchtig ist wie die Marketing-Leute uns glauben machen wollen.
Exkurs: Wie ermittelt man „normalerweise“ das Potential einer Aktie?
Bei den schon profitablen Technologieunternehmen kannst Du natürlich wie bei allen anderen Aktien auch wie folgt mit klassischen Methoden der Fundamentalanalyse an die Abschätzung des Potentials einer Aktie herangehen:
Der 'faire' Kurs einer Aktie ergibt sich (stark vereinfacht) als Produkt aus dem erwarteten Gewinn pro Aktie im nächsten Jahr sowie dem branchenüblichen Kurs-Gewinn-Verhältnis (bKGV). Schwierig gestaltet sich dabei manchmal die Suche nach diesem historischen bKGV. Da es meines Wissens keine allgemein verfügbaren Statistiken diesbezüglich gibt, ist man hier oft auf den Vergleich mit anderen Unternehmen der gleichen Branche angewiesen. Du könntest also durchaus das KGV von Apple, Google, Amazon, Microsoft und Facebook miteinander vergleichen.
Hat man den 'fairen' Kurs ermittelt, so muss dieser mit dem aktuellen Kurs verglichen werden, und schon erhältst Du das kurz- bis mittelfristige Potential der Aktie. Zusätzlich solltest Du auch den fairen Wert auf Basis der erwarteten Gewinne des übernächsten Jahres berechnen, um das längerfristige Potential zu ermitteln. Ergibt sich zumindest auf diese längerfristige Sicht durch diese Rechnung ein Potential von ca. 50-100%, so ist diese Aktie ein Kaufkandidat, den Du Dir näher anschauen solltest.
In einer weitergehenden Analyse von KUV (Kurs-Umsatz-Verhältnis), KBV (Kurs-Buchwert-Verhältnis) und KCV (Kurs-Cashflow-Verhältnis) musst Du dann darauf achten, dass auch Umsatz, Eigenkapital und Cashflow des Unternehmens in einem vergleichsweise möglichst günstigen Verhältnis zu seinem Unternehmenswert steht - gerade im historischen Vergleich bzw. im Vergleich mit ähnlichen Unternehmen. Wenn all diese Kennzahlen auf eine Unterbewertung hinweisen und auch sonst keine Gründe gegen ein Investment sprechen, dann ist eine gute Kaufgelegenheit gefunden.
Das Dilemma bei noch jungen Technologieaktien
Soweit so gut. Das klingt logisch und ist sozusagen das kleine Einmaleins der Aktienbewertung - völlig unabhängig von der Technologiebranche.
Doch zumindest bei den noch jungen Technologieaktien, die sich mitten in ihrem „Tornado“ befinden, funktioniert eine solche klassische Berechnung des Potentials leider überhaupt nicht. Denn es gibt i.d.R. keinen Gewinn und somit auch kein KGV. Oft verbraucht das Unternehmen in seiner Zeit des schnellen Wachstums sogar jede Menge Geld.
Auch der Buchwert ist bei Technologieaktien oftmals nicht wirklich relevant. Denn der wichtigste Vermögenswert ist das geistige Eigentum an der Technologie (IP = Intellectual Property) und das ist i.d.R. gar nicht in der Bilanz aufgeführt. Auf der anderen Seite stehen nach ersten Unternehmensübernahmen manchmal relativ große immaterielle Unternehmenswerte in der Bilanz und es ist für einen außenstehenden Privatinvestor kaum möglich, die Werthaltigkeit dieser Positionen einzuschätzen.
Das klingt kompliziert? Ist es auch... ;-)
Die gute Nachricht ist, dass meiner Erfahrung nach die Bilanzanalyse beim High-Tech-Investing längst nicht so wichtig ist wie beim klassischen Value-Investing.
Die große Frage ist daher, wie Du trotzdem versuchen kannst, den künftigen Unternehmenswert und damit das Potential einer Aktie abzuschätzen, wenn doch all die klassischen Methoden der Berechnung eines fairen Wertes scheitern…
Der Begriff des Enterprise Value
Zunächst mal ist es wichtig, den Begriff des Enterprise Value (= Unternehmswert) richtig zu verstehen. Der wird oft mit der Marktkapitalisierung verwechselt, kann aber gerade bei kleineren Technologieunternehmen sehr unterschiedlich sein. Die Marktkapitalisierung ist ja ganz einfach der Aktienkurs multipliziert mit der Anzahl ausgegebener Aktien. Der Enterprise Value (EV) ist hingegen im Wesentlichen die um Schulden und Barmittel korrigierte Marktkapitalisierung.
EV = Marktkapitalisierung - Cash + Schulden
Unter dem Enterprise Value kannst Du Dir den theoretischen Preis vorstellen zu dem das nackte Unternehmen im Falle einer Akquisition übernommen würde. Angenommen ein strategischer Käufer ist bereit, $1,5 Mrd. für ein Technologieunternehmen auf den Tisch zu legen, welches $500M Cash und keine Schulden hat. Dann wäre die Summe, die für das nackte Unternehmen (d.h. die Kunden bzw. die Technologie) bezahlt wird also $1,0 Mrd., da der Käufer ja die $500M Cash mit übernimmt.
EV/Sales als wichtigste Kennzahl für junge Technologieaktien
Teilt man den Enterprise Value durch den Umsatz eines Geschäftsjahres, so erhält man die wohl brauchbarste Kennzahl zur Einschätzung der Bewertung eines noch defizitären Technologieunternehmens. Im obigen Beispiel bei einer Marktkapitalisierung von $1,5 Mrd., $500M Cash und keinen Schulden sowie einem Umsatz von $250M berechnet sich also ein EV/Sales = 4.
EV/Sales = (Marktkapitalisierung - Cash + Schulden) / Umsatz
Was ist günstig?
Welches EV/Sales - Multiple nun als günstig anzusehen ist, das hängt von verschiedenen Einflussfaktoren ab wie z.B.
- der Attraktivität des Marktes in dem ein Unternehmen tätig ist
- die Position des Unternehmens in diesem Markt
- die Wachstumsgeschwindigkeit des Unternehmens
- dem Geschäftsmodell bzw. der Art der Umsätze, die das Unternehmen generiert
Ich werde in einem zukünftigen Beitrag noch genauer auf diese Themen eingehen, möchte Euch aber hier zumindest schonmal eine wichtige Erfahrung mitgeben, die ich in den vergangenen 25 Jahren im Software-Business gelernt habe:
In den vergangenen Jahrzehnten ist der EV/Sales-Multiple eines zumindest mit 10-15% p.a. wachsenden Softwareunternehmens selten unter 3 gefallen.
Achtung: Im Infrastruktur-/Hardwarebereich sowie bei IT-Dienstleistungen gelten oftmals wesentlich niedrigere Multiple als im Software-Bereich. Im SaaS-Bereich (Software as a Service) hingegen mit seinen gut planbaren wiederkehrenden Umsätzen werden aus guten Gründen seit Jahren wesentlich höhere Multiples gezahlt. Zu den unterschiedlichen Geschäftsmodellen werde ich wie gesagt demnächst auch noch einen eigenen Beitrag schreiben, da diese einen wesentlichen Unterschied bei der Bewertung der Aktien ausmachen.
Was ist der Wert eines Unternehmens?
Wenn ich vom Wert eines Unternehmens rede, dann meine ich damit generell nicht automatisch die aktuelle Bewertung dieses Unternehmen an der Börse, sondern insbesondere auch den Preis, den ein Käufer im Falle einer Übernahme zu zahlen bereit wäre.
Gerade in schwachen Börsenphasen kann es vorkommen, dass das EV/Sales Multiple eines börsennotierten Softwareunternehmens deutlich unter 3 fällt. Das ist dann in der Vergangenheit oftmals eine Kaufgelegenheit gewesen, denn es werden in dieser Situation oft hohe Aufpreise auf den Börsenkurs im Falle einer Übernahme gezahlt - immer vorausgesetzt es handelt sich um ein gesundes und stabiles Unternehmen. Dieser Käufer muss übrigens nicht immer einen strategischen Nutzen von der Akquisition haben. Auch Finanzinvestoren zahlen oftmals das Dreifache des Umsatzes für ein gesundes Softwareunternehmen - auch und gerade in schwachen Börsenzeiten.
Das ist zumindest meine Erfahrung aus den vergangenen 25 Jahren. Und dieser Erfahrungswert kann Dir helfen, um zumindest im Softwarebereich einen brauchbaren Ausgangspunkt zu haben, wie Du das längerfristige Potential relativ konservativ abschätzen kannst.
Das Beispiel Nutanix
Vor wenigen Wochen bin ich erstmals in Nutanix eingestiegen. Die Investmentstory habe ich hier für Euch zusammengefasst: Nutanix - Das Betriebssystem für die hybride Cloud.
Der EV von Nutanix beträgt gemäß den Daten auf der von mir sehr geschätzten Seeking Alpha - Plattform aktuell $2,9Mrd. Ich gehe in meiner Investment-These davon aus, dass das Unternehmen in den nächsten Jahren weiter rasant wachsen kann ausgehend von einem Umsatz in 2016/2017 von $767M mit allerdings von Jahr zu Jahr sinkenden Wachstumsraten von 55%, 45%, 35%, 25%, 20%. Das würde in 2022 einen Umsatz von $3,5 Mrd. bedeuten. Sollte meine Investment-These stimmen und Nutanix bis 2022 hauptsächlich als Softwarewert anerkannt sein, dann sollte der Markt das Unternehmen zukünftig zumindest mit einem EV/Sales-Multiple von 3 bewerten, das wären dann also $10,5 Mrd. oder ein Potential von mehr als 200% in den kommenden 5 Jahren ausgehend vom heutigen EV.
Das war einfach oder?
Die Grenzen dieses einfachen Modells
Natürlich ist das alles nur eine Pi-mal-Daumen - Rechnung. Und es ist alles andere als trivial, die Wachstumsraten in den Folgejahren realistisch einzuschätzen. Wenn Du Glück hast, dann hat das Management eine langfristige Planung veröffentlicht und Du kannst deren Zahlen verwenden. Ich rate Dir aber dazu, das Potential in jedem Fall mit verschiedenen Szenarien und unterschiedlichen Annahmen für die Wachstumsraten zu berechnen. Ich selbst steige i.d.R. nur dann in eine Aktie ein ein, wenn sich auf diese Weise abzeichnet, dass das Potential auch bei relativ konservativen Grundannahmen für das Wachstum auf 5 Jahre betrachtet mindestens 100% beträgt. In einem zukünftigen Beitrag werde ich auf weitere Bewertungskennzahlen eingehen, die dann hoffentlich noch mehr Licht ins Dunkel bringen.
Dein Feedback?
Wenn Du diesen doch etwas länglichen Beitrag bis hierhin gelesen hast, dann findest Du diese etwas theoretischen Themen vielleicht fast genauso spannend wie ich. Die klassischen Value-Investoren unter Euch werden vielleicht enttäuscht sein wie wenig mathematisch es hier zugeht, obwohl ich doch von Hause aus ein Wirtschaftsmathematiker bin 😉
Einige Hardcore-Value-Fundamentalisten finden mein Treiben rund um die High-Tech-Aktien gar „esoterisch“ wie ich gehört habe und können nur den Kopf schütteln angesichts der andauernden Outperformance meines High-Tech Stock Picking wikifolios.
Wie nähert Ihr Euch der fairen Bewertung eines noch defizitären Wachstumsunternehmens?
Auch ich lerne jeden Tag dazu und freue mich auf Eure Kommentare zu diesem für das High-Tech-Investing doch elementar wichtigen Thema.
Wenn Du mehr über meine Anlagestrategie erfahren möchtest, dann empfehle ich Dir die folgenden Beiträge: