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Gregor Nobis

Kann Shopify neben Amazon überleben?


Ich (Stefan) freue mich, Euch heute erstmals einen Gast-Beitrag hier im High-Tech-Investing-Blog präsentieren zu können. Mein Gast-Autor ist Gregor Nobis, der als Product Manager und Software Engineer in verschiedenen Start-Ups jahrelange Erfahrung im E-Commerce gesammelt hat.

Shopify - Amazon

Der Kurs von Shopify ist in den vergangen Tagen stark unter Druck geraten. Auslöser war die Short-Attacke von Citron Research, die zu Gewinnmitnahmen und sogar teilweise panikartigen Verkäufen geführt hat. Eine weitere, sogar begrüßenswerte Folge der Short-Attacke ist, dass der Investment Case Shopify und das Geschäftsmodell jetzt kritischer hinterfragt werden. Beobachter und auch Investoren stellten sich nun die Fragen, die in der Euphorie der jüngeren Kursentwicklung (+100% in 8 Monaten) hier und da untergegangen waren.

Eine der wichtigsten Fragen soll dieser Beitrag beantworten:

Kann Shopify wirklich langfristig neben dem Riesen Amazon bestehen?

Meine Antwort sei gleich vorweggenommen, sie lautet “ja”.

Shopify konkurriert zwar mit dem Amazon Marketplace – ein Vergleich der beiden Lösungen macht aber deutlich, dass Shopify eine überaus attraktive Alternative besonders für kleine bis mittelgroße Händler bietet.

Marktplatz vs Plattform

Amazon Marketplace ist ein Marktplatz (daher ja auch der Name). Hier konkurrieren viele Händler direkt miteinander. Der potentielle Endkunde sieht die Artikel aller Händler in einer einheitlichen Oberfläche. Er kann suchen, vergleichen und aus diesen Angeboten auswählen.

Shopify hingegen ist eine Plattform. Shopify erlaubt es Händlern, ihr Sortiment von Artikeln einmal anzulegen und dann über verschiedene Kanäle zu vertreiben. Mögliche Kanäle sind u.a. eine eigene Shop-Website aber auch der Amazon Marketplace. Als Händler kann ich also mit minimalem Mehraufwand an mehreren Orten gleichzeitig präsent sein.

Blicken wir in die Zukunft. Wenn die Händlerbasis von Shopify in Breite und in Tiefe weiterhin wächst wie aktuell - dann könnte auch Shopify eines Tages einen Marktplatz eröffnen, der eine Suche über alle Produkte aller Händler anbietet. Das halte ich für einen der strategischen Joker in Shopifys Hand.

Marktplatz vs Markenshop

Im Getümmel des Amazon Marketplace ist man als Händler einer unter vielen. Außer niedrigen Preisen, schöneren Produktbildern und besseren Texten hat man wenige Hebel, um die eigenen Artikel für Käufer interessant zu machen. Selbst wiederkehrende Amazon-Kunden werden dem einzelnen Händler gegenüber wenig loyal sein – und beim nächsten Kauf eines vergleichbaren Produktes möglicherweise einen der Marketplace-Konkurrenten wählen.

Mit den Shopify-Tools haben Händler hingegen die Möglichkeit, eine echte Marke um ihre Artikel aufzubauen: der Shop hat seine eigene Internetadresse, er kann frei gestaltet und gebrandet werden – und wird daher vom Kunden als komplett eigenständig wahrgenommen. Gestalterisch ist Shopify zudem nahe am Puls der Zeit und dem altbackenen Technokraten-Look von Amazon weit voraus.

Commodity vs Neue Produkte

Amazon Marketplace kann ein super Kanal sein, um die Akzeptanz von Produkten zu testen. Das gilt insbesondere für Commodity-Produkte, die jeder kennt und bei Amazon sucht. Neuartige Produkte zu vertreiben dürfte dort schwer sein, da danach nicht in relevanten Volumen gesucht wird. Ja, es gibt Amazon Launchpad als Spezial-Shop für Startup-Produkte, aber trotzdem.

Auch mit Shopify kann ein Händler neue Artikel testweise anbieten, um das Kunden-Interesse auszuloten. Es gibt den Shopify Buy-Button, damit lässt sich z.B. ein einzelner Artikel auf einer existierenden Website mit existierendem Publikum einbinden und verkaufen. Es muss also nicht eigens ein Shop eingerichtet und mit Traffic versorgt werden. Und dieses Produkt kann eben mit wenigen Klicks auch in den Amazon Marketplace eingestellt werden. Daher sind auch reine Dropshipping-Modelle mit Shopify so einfach zu realisieren.

Test-Erfolg vs Wachstum

Wer als Händler Erfolg auf dem Amazon Marketplace hat, läuft Gefahr schnell kopiert zu werden. Zum einen sehen andere Händler Bestseller-Listen und können Konkurrenzprodukte anbieten. Die meines Erachtens noch größere Gefahr ist aber Amazon selbst.

Denn Amazon hat kompletten Einblick in Daten wie Suchvolumina und Verkäufe, Trends und Preispunkte. Und genau deshalb auch die Angewohnheit, auf dem Marketplace gut funktionierende Artikel in das Amazon-eigene Sortiment aufzunehmen. Aufgrund von Prime und der Preisgestaltung greifen dann viele Kunden zum Amazon-Produkt, selbst wenn es auch bei anderen Händlern verfügbar ist. Der Erfolg eines Händlers ist daher in gewisser Weise immer auch vom Wohlwollen Amazons abhängig.

Auch hier ist Shopify ganz anders aufgestellt. Die Lösung kann mit den Anforderungen eines Händlers mitwachsen, wenn dieser z.B. ein kleines Sortiment erfolgreich getestet hat. Dafür bietet die Shopify Plattform verschiedene Bausteine bis hin zur Enterprise-Lösung Shopify Plus. Und das ist eben ein großer Plus-Punkt, denn viele Geschäfts-oder Vertriebsmodelle wollen nach erfolgreichem Test über den Amazon Marketplace hinaus wachsen. Das aber geht per definitionem mit dem Amazon Marketplace nicht.

Online vs Online/Offline-Hybrid

Amazon Marketplace ist eine reine E-Commerce-Lösung.

Shopify bietet auch den Baustein POS-Lösung (POS = Point of Sale). Damit kann man sein Sortiment offline in einem Laden oder z.B. auf Messen verkaufen. Man erhält ein leichtgewichtiges modernes Kassensystem (mit Hardware wie Kartenleser etc) und kann ein offline erfolgreiches Sortiment mit wenigen Klicks auch online professionell anbieten. Oder aber in der umgekehrten Reihenfolge. Als Händler verfügt man über flexible Wachstumspfade.

Sandbox vs Datenhoheit

Amazon kontrolliert, welche Daten man als Händler sieht und welche nicht. Wesentliche Teile der Kundeninteraktionen auf der Website, in Emails etc. sind vom Händler nicht zu beeinflussen. Die Kunden eines Marketplace-Händlers bleiben in erster Linie Amazon-Kunden, auch wenn man Daten wie Versandadresse u.ä. erfährt.

Shopify bietet hier deutlich mehr Freiheitsgrade. Shopify-Händler können Google Analytics verwenden, um das Kundenverhalten im Shop zu analysieren. Die Kundenkommunikation ist formbar: jede Mail, die an Kunden verschickt wird, kann per Template angepasst werden. Das unterstützt wiederum die Markenbildung (s.o.).

Es gibt zudem ein paar interessante Features, die Marketplace nicht anbietet, die ich in Shopify aber verwenden kann:

- Einkauf als Gast ohne Registrierung

- Abandoned shopping carts:

wenn Kunden ihren Warenkorb befüllen, den Kauf aber nicht abschließen, so können sie automatisiert per Email daran erinnert werden. Diese Mails sind bei Kunden zwar nicht sehr beliebt, funktionieren aber in der Regel sehr gut.

Marktplatz-Marketing vs Suchmaschinen-Marketing

Amazon bietet suchbasierte Anzeigen. Damit kann ein Händler die eigene Produkte in den Suchergebnissen nach oben schieben. Der Effekt beschränkt sich aber natürlich auf die Ergebnisse einer Suche innerhalb des Amazon Marketplace.

Shopify-Händler können ihre Produkte und Website hingegen über SEM (Search Engine Marketing, d.h. herkömmliche Suchmaschinen-Anzeigen = Google Adwords) bewerben. Damit erreichen sie zwar nur diejenigen Kunden die in ihrer Suchmaschine (lies: Google) gesucht haben. Allerdings: ich kann ja als Shopify-Händler meine Artikel auch auf dem Amazon Marketplace anbieten. Insgesamt erreiche ich dadurch also für vermutlich alle Produkte die meisten potentiellen Kunden, nämlich diejenigen, die auf Google suchen plus diejenigen, die auf Amazon suchen.

Multichannel-Commerce

Ein großes Thema im E-Commerce waren bis vor wenigen Jahren die Conversion-Rates auf Smartphones. Unter Conversion Rate versteht man generell das Verhältnis zwischen der Anzahl der Besucher eines Shops und der Anzahl der Käufe. Eine Conversion-Rate von 5% bedeutet beispielsweise, dass von je 100 Besuchern im Shop durchschnittlich 5 Käufe getätigt werden. Der mobile Traffic-Anteil stieg über Jahre kontinuierlich, doch Käufe wurden nur selten auf dem Smartphone getätigt. Viele Händler behaupteten, Kunden hätten einfach keine Lust unterwegs einzukaufen.

Shopify hat dieses Problem mit bis in die kleinsten Details durchdesignten Benutzeroberflächen gelöst. Die Conversion-Rates für Mobil und Desktop liegen in Shopify Shops fast gleich auf. Aus 60% Mobile-Traffic werden 50% des Umsatzes erzielt. Damit liegt man auch heute noch weit über dem Branchendurchschnitt. Die konkreten Conversion-Rates kenne ich zwar (noch) nicht. Als Pluspunkt für Shopify verbuche ich das dennoch, weil das Shopify-Team bewiesen hat, dass man den neuen Kanal Smartphone sehr gut verstanden und in den Griff bekommen hat.

In der Zukunft wird die Vielfalt der internetfähigen Geräte (ebook Reader, TV, Uhren, interaktive Werbe-Displays, ...) noch weiter zunehmen und ich sehe Shopify gut gerüstet, um auch neu entstehende relevante Kanäle zu erkennen und gut zu bedienen.

Wenn wir über Conversion-Rates sprechen, so muss auch Amazon lobend erwähnt werden. Denn Amazon ist unangefochtener Conversion-Rate-Champion mit Raten von 13%, man liest von sogar 70% bei Prime-Kunden. Allerdings: Amazon dürfte neuen Systemen gegenüber etwas weniger aufgeschlossen sein, da das Unternehmen selbst Infrastruktur und Content (Alexa, Echo, Fire TV, Kindle, ...) anbietet und diese stets bevorzugen wird.

Spieß umgedreht: Shopify vs Citron

Zum Abschluss soll noch Shopify-Gründer Tobi Lütke mit seinem Statement zur Short-Attacke von Citron zu Wort kommen:

Wie siehst du die Situation?

Bin ich übertrieben optimistisch?

Hat Citron Research am Ende doch recht?

Bitte lass es mich in den Kommentaren wissen...

Ich jedenfalls traue Shopify langfristig noch viel zu und freue mich auf den von Tobi Lütke angekündigten Analystencall in einigen Wochen.

Disclosure: ich bin in Shopify und Amazon investiert.

Wenn Du mehr über den Shopify Investment-Case erfahren willst, dann findest Du hier weitere Artikel zum Thema auf diesem Blog:

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